Reise-Augenblicke auf halbem Weg

España ida y vuelta (III)

Kurz vor den Pyrenäen zwischen Ambach und Dénia

Die schmale Straße westwärts von Sète am Marseillan Plage zwischen Étang de Thau und Mittelmeer hat ihre Ursprünglichkeit längst verloren. Jetzt aber, im April, sind wir immerhin die einzigen Reisenden. Neue auf dem Reißbrett minitiös geplante Straßen, wie auf Schienen links und rechts steril streng begrenzt, und unzählige Parkplätze lassen die touristische Wucht der Ferienmonate erahnen. Selbst jetzt wagt man kaum anzuhalten wenn ein Motiv den Fotografen lockt.

Das hindert uns aber nicht, den Augenblick mit den ersten rosa Flamingos, wenn auch im ungünstigen Gegenlicht, aufgeregt zu erwarten: Wie sie im eleganten Gleichschritt das begehrte „Kleinzeug“ unermüdlich wählerisch selektierend sabbern!
Stelzenläufer sind weniger spektakulär. Sie sind Einzelgänger und fischen gezielt, eindrucksvoll grazil und stolz lohnende größere „Einzelteile“ aus dem Süßwasser

Vorbei an Agde, Béziers, Narbonne und Perpignan ist es höchste Zeit die heute wolkenlosen Pyrenäen-Schönheiten bestmöglich zu identifizieren

Zugegeben, dies ist bei unseren heimischen Alpen einfacher: Hier die Zugspitze, östlich davon die Alpspitze etc.. Die Gipfel der Pyrenäen bilden für den flüchtigen Reisenden eher eine homogen erscheinende Gebirgslandschaft.
Hier der Beweis: Links die Alpspitze und jeder Voralpenländler sieht sofort, obwohl nicht mehr abgebildet, westlich (d. h. rechts) Deutschlands höchsten Punkt und davor, schon drauf, den vorgelagerten Kleinen Waxenstein …
‎⁨Ein Halt im Pyrenäenort Céret im Tal des Tech lohnt⁩. Oder sind wir denn in der Camargue …?

Ein weiterer Augenblick ungläubigen Erstaunens: Wir kriegen zur Mittagszeit, wenn auch am Katzentisch, mit ausdrücklicher Genehmigung des Patron, noch einen Espresso … obwohl schon für das nahe heilige französische Déjeuner gedeckt ist. Ansporn genug den Ort weiter zu erkunden.
In einer kleinen Straße strahlt uns der Pic du Canigou (katalanisch Canigó) stolz entgegen
Der heilige Berg der Katalanen ist ein ethnisches Bindeglied zwischen Frankreich und Spanien und auf dem Plakat natürlich noch schöner
Céret hat sich, seit Pablo Picasso, Georges Braques und andere hier malten, den Ruf als bedeutender Pyrenäenort des Kubismus erworben. Vor allem zwischen 1910 und 1915 tauschten sich hiesige Maler mit den Kollegen und Freunden aus Montmartre aus und begründeten den Ruf.

Diese Anmerkung kann sich HDM nicht verkneifen: Gestern lese ich im spanischen El Pais „Ibiza quiere volver a ser la isla de los artistas“ … Dort hat man zwischendurch halt mal eine andere Marketing-Positionierung versucht, eine vermeintlich lukrativere. Ob Maler jedoch nach der Pfeife wankelmütiger Marketingmenschen tanzen und zurückkehren wird sich zeigen. Perdon für diese ungünstige Einschätzung, schönes Ibiza.
Diese Hymne an den Olivenbaum steht vor Cérets Museum für Moderne Kunst. Hier finden sich u. a. Werke von Matisse, Picasso, Braque, Chagall und Miró.

Wohlgemerkt keine Hymne an den Kirschbaum, obwohl um Céret herum die ersten Kirschen der Republik geerntet werden. Das erste Körbchen erhält PR-trächtig der französische Staatspräsident – eine prompte Wiesn-Erinnerung an das heimische „o´zapft is“.

Die Kirschbäume fallen sogar zunehmend den billiger zu erntenden Pfirsichen zum Opfer. Hoffentlich wird kein Schweine-Zyklus draus, denn Bäume wachsen bei sich wandelnden Märkten langsamer als gierige Ferkel … (der geneigte Leser entschuldige den herben Vergleich)
„Les ponts de Céret“, ein Gemälde von Vincent Bioulès, ist im Musée ausgestellt. Die Teufelsbrücke über den Tec (vorne, 14. Jh.) gilt als die älteste Bogenbrücke dieser Art und Größe.
Wir interessieren uns heute mehr für die kleinere Kunst, die sich kontinuierlich aus dem Künstler-Renommé (durch eine kontinuierlich gepflegte Positionierung) des abgelegenen Pyrenäenortes entwickelt hat
Unser Auge gilt auch der ganz kleinen Kunst, die sich bescheiden und harmonisch in das Drumherum einfügt
Auch die Müllbehälter profitieren
Für HDM bemerkenswert ist die Vielfalt der Darstellung von Kruzifixen
In der Église Saint-Pierre ergänze ich meine Kruzifix-Sammlung um ein besonders eigenständiges Exemplar
Draußen ein „Mairie“ wie aus dem Bilderbuch … welche augenblickliche Assoziation könnte hier im Midi wohl entstehen?
Trauriger Hunde-Augenblick abseits der großen und kleinen Kunst. Er (oder natürlich sie?) scheint sich für die kunstvollen Gourmandises zu interessieren
Retour à la nature! ‎⁨Die schwer identifizierbare Pyrenäenkette bei Prats-de-Mollo-la-Preste⁩ an der ⁨Grenze zu Katalonien
Wir entscheiden uns zur Überquerung für den mäßig hohen Col d`Ares. Er spielt im Laufe der französisch-spanischen Geschichte eine bedeutende Rolle. Seit dem 30jährigen Krieg verläuft hier die Grenze zwischen beiden Territorien. Der Weg über den Pass geht als El Camí de la Retirada in die katalanisch-spanische Geschichte ein. Wenige Monate vor dem Ende des Spanischen Bürgerkriegs (1936 – 1939) wird Ende Januar bekannt, dass die Franzosen die Grenze öffnen. Hunderttausende fliehen über den Pass bis zur Schließung zwei Wochen später.
Ungewöhnliche Wolken über einer für uns beinahe mystischen Landschaft
Erinnerungsmoment an die letzte „milde“ Überquerung im Februar 2019 durchs Valle de ‎⁨Baztan von Navarra aus. Es ist ganz schön kalt. In Ziga übernachten wir, die einzigen Reisenden weit und breit, bei⁩ ⁨Martintxo und seiner Frau im Gästehaus Aldekoa. Eigentlich haben sie noch gar nicht auf. Am frühen Morgen helfen wir ihm auf seiner Alm die Pferde zu füttern.
Jedoch zurück zum Col d`Arès: Vor der Grenze die Església Parroquial de Santa Cecília, ein Beispiel katalanischer Romanik. Sie hat bis zum Spanischen Bürgerkrieg zahlreiche Stürme jeglicher Art hinter sich gebracht und ist heute ein nationales Kulturdenkmal.

Fortsetzung folgt: Die Augenblicke der nächsten Folge spielen in Spanien. Dann enthüllen wir auch die Bedeutung dieser Plastikflaschen in unserem ersten größeren spanischen Pueblo Cervera.

¡Hasta la próxima vez!

España ida y vuelta (parte uno)

Augenblicke zwischen Ambach, Dénia und zurück

Auf dem Hinweg ins Land Valencia erleben wir die Pyrenäen, wie nur selten, von ihrer besten, beinahe wolkenlosen Seite: der Pic de Canigou mit seinen 2784 m wird fürwahr zum besonderen Augenblick.

Natürlich war die heimische Zugspitze (2962 m) gestern früh auch noch schneebedeckt. Im Süden jedoch, an der Grenze nach Spanien, sind Schneeberge immer wieder ein Erlebnis.

Am 5. April ging’s heuer los. Zuerst lockt Frankreich. Wir fahren mit dem G über Baden-Württemberg (Biberach, Todtnau, das Höllental, Weil am Rhein), das Elsass (Huningue und Altkirch im Dépt. Haut-Rhin), Belfort und Dole (Jura) auf der National 73 ins Département der Flüsse Saône und Loire. La France hat uns wieder. Wir genießen das Bewusstsein hier zu sein. Landschaften, Sprache und Baudenkmäler haben´s uns angetan. Auch die Menschen die wir treffen, ihr alltägliches Savoir-vivre.

Am späteren Nachmittag tauchen wir so richtig ein. In Tournus, hier bleiben wir über Nacht, und am nächsten Morgen in Mâcon, beide wunderbar an der Saône gelegen. Wie bei jeder Stippvisite auch anderer kleinerer Städte wo in Frankreich auch immer: Ein Café an der Straße, ein paar Schritte ins Centre, zur Église, zum Fluss und … wir sind angekommen.

Am zweiten Tag geht’s von der Saône zur Rhône, nach Tournon-sur-Rhône: Eine großzügig angelegte Stadt am grandiosen Fluss! Doch Sète, unser geplantes Zwischenziel, ist jetzt greifbar nah und zieht uns magisch an. Diese eigentlich ganz normale und wohl deshalb so faszinierende französische Hafenstadt am Mittelmeer und dem Austernteich Étang de Thau im Südwesten, Anfang des Canal du Midi, hat es uns seit langem angetan.

Von den köstlich-frischen Fruits de Mer, diesmal im La Calanque, ganz zu schweigen – heuer sogar an zwei Abenden. Denn wir entscheiden anderntags bei Café und Croissant am Hauptkanal eine weitere Nacht zu verweilen. Über die beeindruckende Zugbrücke ist´s vom Hotel mit geschlossenem Parkplatz ohnehin nur eine Petite Promenade du Soir zum puren abendlichen französischen Leben des Midi.

Hier ein paar für uns besonders erinnerungswerte Augenblicke dieses ersten Teils der Reise:

Schon kurz nach der Rheinbrücke zwischen Weil am Rhein und Huningue (Hüningen) kommt im eher ruhigen südlichen Elsass augenblicklich Freude auf. Bei jeder Reise machen wir Jagd auf Graffitis. In Tagsdorf das erste ins Auge fallende Exemplar!

Es erinnert uns an eine häusliche Begegnung vor Jahren …
Damals plötzlich ein junger Fuchs ante portas …

wir lassen ihn herein – nach einem Rundgang durch die Wohnung ein Augenblick des Behagens auf dem Ehebett, dann ist er wieder weg

‎⁨Ein Halt ⁨in Tournus⁩ an der Saône lohnt sich. Seit 2015 gehört die geschichtsträchtige Stadt zur fusionierten Region Bourgogne-Franche-Comté.
Die dortige Abteikirche Saint-Philibert ist eines der bedeutendsten frühromanischen Baudenkmäler überhaupt (9. Jh.). Im Augenblick des Eintretens überwältigt die Wucht die wir sonst von den großen gotischen Kathedralen kennen.

Benediktiner haben die Abtei gegründet, nachdem sie von den Wikingern aus ihrem Kloster in Noirmoutier, der Atlantikinsel südlich der Loiremündung, vertrieben worden sind.
Unser nächster Augenblick, jetzt in Mâcon, ebenfalls an der Saône und 65 km nördlich von Lyon: So sieht hier die früher ebenfalls romanische Kathedrale Saint-Vincent aus.

Sie wurde im Laufe der Jahrhunderte durch Abrisse und Umbauten heftig malträtiert. Die beeindruckende Wucht ist geblieben. Zwei Türme und prächtige Wandmalereien, eine Ikonographie aus dem 11. Jh., sind noch Zeugnis der Romanik und rechtfertigen die gestrenge Einstufung als historisches Denkmal.
Die mächtige Pont Saint Laurent von Mâcon zur gleichnamigen Stadt am Ostufer der Saône hat ihren Ursprung ebenfalls im 11. Jh.
Eine eher jüngere Schöpfung in der geschichtsträchtig alten Stadt: Die Graffiti-Ikone (pardon) porträtiert selbstbewusst die Weisheit großer Franzosen und Französinnen; letztere leider nur unten links, dafür mit einem weiteren aufmerksamen Bewunderer, präziser einer Bewundererin
Ein Augenblick in Tournon-sur-Rhône – wir sind jetzt 80 km südlich von Lyon:

Pulsierende Geschäftigkeit vor der Kulisse der Hautes Alpes im Osten
Geplantes Zwischenziel erreicht: der Canal Royal von Sète
Nicht ganz unerwartet: Unsere für einen längeren Augenblick getrennte Verbindung zwischen begehrten Fruits de mer auf der anderen Kanalseite und Hotel
La voilà, die begehrten Gourmandises sétoises im La Calanque

Bis sich die Brücke wieder absenkt nutzen wir die Wartezeit. Diesseits des Kanals, in der alten Rue de Tunis, finden wir unzählige bezaubernde Graffitis.

Welch köstlicher und gefälliger Augenschmaus vor dem abendlichen zum Teil schwer zugänglichen Genuss der Innereien mancher Meeresfrüchte (vergleichbar mit der „halberden Antn“ beim Steidlwirt am Westufer vor ein paar Tagen). Sète offenbart sich auch noch als Ort kreativer Straßenmalerei. Wir werden genüsslich doppelt belohnt.

Hier eine kleine Auswahl inspirierender Augenblicke:

Dies ist für HDM seit der Jugendzeit das Klischee einer erwachsenen männlichen französischen „Visage“.

Ich vermute dahinter die bildliche Erinnerung an einen Paul Kalenderian aus Marseille. Er war kurz nach Kriegsende als französischer Besatzer bei uns einquartiert. Weitere ähnliche Gesichter, z. B. das von Jean Gabin, festigten das eingebildete Franzosenbild, obwohl es letztlich nicht haltbar ist.
Nicht typisch Französisch
Eine mir höchst vertraute kleine große Persönlichkeit, hier in dunkler Gestalt
Ups! Eine auch hierzulande übliche Kreativität auf einer zumindest früher höchst nützlichen Einrichtung
Graffiti-ähnlich auch eine Art bildlicher Straßengestaltung und Kommunikation. Erstes Feedback ist schon erkennbar.
Morbide Schönheit in Form einer Art gegenständlicher Graffiti-Collage
Authentisch, aufregend und wohltuend
dito
Könnte einen von Stürmen geprägten Fischer des Quartiers darstellen
Weniger authentisch
Ups!
Eine moderne Graffiti-Version in Erinnerung an einen katalanischen Surrealisten aus Figueres, auf dem weiteren Weg ins Land Valencia gelegen?
Dieser Herr aber erinnert sicherlich an einen gewissen Caballero español …
Das nächste Mal mehr über Sète, z. B. malerische Begegnungen wie dieses Schwätzchen (frz. petite causette). Sie gehören im Midi zum täglichen Leben und Erleben wie die Baguette.

Fortsetzung folgt