¿Está realmente muerto el Caudillo?

Der letzte Blog endet mit einem netten spanischen Polizei-Erlebnis. Daran anknüpfend hier ein weiteres. Die Gelegenheit ist günstig, es endlich mal halböffentlich los zu werden:

HDM inmitten einer zünftigen, allerdings russischen Fahnder-Einheit im mittlerweile leider etwas ferneren Sankt Petersburg. Ein Bezug zum Thema Caudillo und seinem gestrengen Regime ist auch nicht ganz von der Hand zu weisen.

Die Petersburger Jungs haben mich damals gleich früh morgens „kollegial“ in ihre zünftige Dienststelle eingeladen und sich für tatkräftige Mitarbeit bedankt. Man würde mich am liebsten hier behalten, meinten sie charmant.

Hatte in der vorausgehenden Nacht am Nevsky-Prospekt (Невский проспект) die Anführer*in einer fünfköpfigen Bande (ohne das eigentlich nur passiv beteiligte Baby gerechnet) recht spektakulär und relativ gewaltlos überwältigt, sie stundenlang in Gewahrsam gehalten und schließlich ausgeliefert. Die Damen hatten mich zuvor in vorbildlicher Teamwork – vorübergehend lohnend – beraubt.

Werde diese aufregende Nacht zwischen Zarenpalästen, Hinterhofverstecken, Bus-Jagden, Metro-Verließen, Pritschen-Ladas, einem einheimischen Helfer, Dolmetschern und einem finalen Schnellgericht nie vergessen
(Эту ночь мы никогда не забудем – Übersetzung frei nach Google).

Das dramatische Ereignis dauerte mit allem Drum & Dran von abends zehn bis morgens fünf. Dann bringt uns ein jetzt vornehmer Lada ohne Pritsche mit Blaulicht, auf HDMs Bitte ohne Sirene, zum Hotel.

Das Ganze wäre eigentlich, mit allen nicht undramatischen Details, eine eigene Geschichte wert. Schaun mer mal.
Aber jetzt, um den Charakter eines Reiseberichts zum Thema Caudillo nicht zu verlassen, weitere Stationen auf dem Weg zum heutigen Reiseziel.

Die Dame oben im Bild hat sich offensichtlich in das vorromanische Weltkulturerbe Santa María del Naranco verliebt. Sie will partout nicht weichen. Der Fotograf erklärt sie notgedrungen zum nicht ganz unwillkommenen Farbtupfer (und ist zufrieden).

Dieser ehemalige Teil einer Palastanlage, später als Kirche genutzt, entsteht in der Mitte des 9. Jahrhunderts und liegt recht unverhofft vor den Toren von Asturiens Hauptstadt Oviedo einfach so in der Landschaft …
… wie auch dieses unweit etwas später auftauchende romanische Kleinod

D´Frau1 schlug eine alternative Bergroute über den Puerto de Pajares vor. Das lohnt sich schon jetzt. Wir stehen vor der Colegiata Santa Maria de Arbás am Camino asturiano.
Ein Juwel sagen spanische Quellen zu Recht
Zahlreiche geschichtliche Ereignisse erklären die faszinierende Vielfalt von Baustilen dieser Kirche. Eine wahre Fundgrube für tausend Jahre aufregender spanischer Geschichte. Aufregend ist’s auch sich ohne umfassende Kenntnisse vor Ort anschaulich hineindenken zu können.

Beispiel Camino asturiano: An diesem bedeutenden mittelalterlichen Pilgerweg ist die Iglesia über Jahrhunderte ein höchst nützliches, da einfaches und robustes Pilgerhospital. Die Pilger kommen aus dem südlicher gelegenen León um in der Kathedrale des nördlich gelegenen Oviedo einen der wichtigsten Reliquien-Schreine der Christenheit zu besuchen, die Cámara Santa. Heute zieht der Schrein Touristen mit UNESCO-Welterbe-Anspruch an.
Wir können am Vortag in Oviedos San Salvador Kathedrale aus der Ferne per Teleobjektiv lediglich den beeindruckenden Altar bewundern. Aufgrund des Gottesdienstes sind die mittelalterlichen Pilger-Träume „las reliquias de la Cámara Santa“ nicht zugänglich.
HDM kann´s verkraften. D´Frau hätt´s halt zu gern gesehen
Handfester als Reliquien sind die morbid-schönen immer noch intakten Überbleibsel des früher in der Region florierenden Bergbaus. Hier der Bahnhof von Villamanín an der Eisenbahnlinie León a Gijón von der beinahe parallelen Nationalstraße 630 aus gesehen. Beide waren wichtige Verkehrswege zwischen den beiden Comunidades (Ländern) „Principado de Asturias“ (Fürstentum Asturien) und „Castilla-León“ sowie dem spanischen Landesinnern.

Ganz in der Nähe von Villamanín liegt die Mine La Profunda. In um die 1500 Meter Höhe werden im Jahr 1870 Kupfer- und Kobalterze wiederentdeckt und zwanzig Jahre lang bis zu einer Tiefe von 180 Meter abgebaut. Dann erzwingen zu geringe Erzmengen und Entwässerungsprobleme die Einstellung des Abbaus.

Zwischen 1923 und 1927 läßt jedoch Spaniens erster Diktator, General Primo de Rivera, vor Ort die Metalúrgica del Cobre y del Cobalto entstehen. Kupfer-, Kobalt- und Nickelerze werden abgebaut, aufbereitet, konzentriert und zur Weiterverarbeitung nach Asturien transportiert. Aber schon nach zwei drei Jahren ist wieder Schluss. Diesmal sind´s die 1929er Weltwirtschaftskrise und der sinkende Weltmarktpreis.

Sechs Jahre später erlangt die Region militärstrategische Bedeutung. Nach wiederholten Fehlschlägen bei der Belagerung Madrids konzentriert Rebell Francisco Franco seine Hauptanstrengungen auf den spanischen Norden. Vor allem Eisenerz- und Kohlevorkommen locken. Noch kann sich das republikanische Asturien (außer der Hauptstadt Oviedo) gegen die Franco-Nationalisten behaupten. Republikaner unter Hauptmann Luis Vaquero verschanzen sich in der Mine La Profunda. Sie kann zur Verteidigung gegen Angriffe der Nationalisten auf Asturien über den Pajares-Pass dienen.

Da kommt Franco die Legion Condor gerade recht. Hitlers Generäle wollen konzentrierte Bomben-Angriffe in schwierigem Gebirgsgelände in enger Formation und geringer Höhe erproben. Richthofens Bombardement ist dann so erfolgreich, dass es in großem Stil brutal gegen die baskische Stadt Guernica wiederholt wird. (Picassos 1937 entstandenes Gemälde befindet sich im Madrider Museo Reina Sofía)

Heute eignet sich das bergige Gelände durch seine strengen Winter, um die erfolgreiche Estación de esquí de Valgrande-Pajares herum, zum üblicherweise friedlichen Skifahren.
Das Wappen der ehemaligen Bergbaumetropole Villamanín visualisiert eine anschauliche Legende: Ein Bär tötet einen der Ochsen eines Wagens, der von einem Abt gelenkt wird. Er transportiert Steine ​​für den Bau eines Hospitals und ersetzt kurzerhand den Ochsen durch den Bären.
Mutig, zupackend, arbeitsam und helfend wie die Menschen der kargen Region.
Ein aussagefähiges Herz-Graffiti (span. Grafiti) am Ortseingang und zwei Vecinos auf dem Weg in ihre Bar. Noch immer schlägt das Herz der gebeutelten Region.
Sozialer Treffpunkt für einen kleinen Imbiss zwischendurch
Esse dort meine zünftigste und vermutlich beste Tortilla el pincho. Die eigentliche Tortilla (perdon, schon angebissen ganz unten) wird durch einfaches Weißbrot angereichert.

HDM vermutet den Ursprung dieser Pincho-Version (meint mit Zahnstocher fixiert) als kleine ausreichend sättigende Mahlzeit für arme Leute (por los pobres).
Die in ganz Spanien weitverbreitete Chorizo dazu (Schwein, Paprika, Knoblauch) ist eigentlich schon Luxus (por los ricos).
Ohne menschliche Bergbau-Eingriffe eigenständig gewachsenes Berg-Gebilde (wohl nicht als Skiabfahrt geeignet)
Weiter geht´s über die schier endlosen Felder der nördlichen spanischen Meseta (Hochebene). Auf einer Erhöhung ein beeindruckender steinerner Horizont.
Der Ort dahinter liegt im Mittelalter im umstrittenen Grenzgebiet zwischen den Königreichen Kastilien und León. Die Stadtmauer aus dieser Zeit ist nahezu vollständig erhalten. Der Ort wird 1975 nationales Bien de Interés Cultural in der Kategorie Conjunto histórico-artístico.
Seit 2013 ist Urueña als eines der schönsten Dörfer Spaniens eingestuft und erhält das internationale Prädikat Villa del Libro. Die Einwohnerzahl liege unter 200 und die Zahl der Museen, Bibliotheken, Buchhandlungen etc. sei deutlich überproportional. Man teilt den Titel mit anderen europäischen Orten in Frankreich, Belgien und den Niederlanden, so ist zu lesen.

Wir kriegen, allerdings außerhalb der Saison, von alldem nichts mit. Wird hier mit Tourismus-Marketing Schindluder getrieben fragt sich der Ex-Marketing-Mensch.
Hier hätte man vielleicht was erfahren können. Die Tür aber ist verriegelt – wahrscheinlich wegen der Essenszeit
¡Volvamos a la carretera!
So recht wurden wir im – mit einer einzigen Ausnahme – menschenleeren Bücherdorf nicht fündig. Doch die haptisch greifbare, ehrliche und grandiose Stadtmauer ohne touristischen Pipifax lohnte die Auffahrt.
Kleine Erlebnisse wie dieses erfreuen der Reisenden Herz und haben Erkenntniswert:
Ein wie immer höchst lauter aber disziplinierter Schulausflug spanischer Kinder
In Pueblos Graffitis auf regionale Inhalte hin entschlüsseln ist immer spannend
Jetzt fiebern wir dem Duero entgegen. Er ist einer der vier oder fünf bedeutenden Flüsse Spaniens die mich seit der Balinger Volksschulzeit faszinieren
In Tordesillas ist am Sonntag Stiertreiben. Da wollen wir nicht dabei sein.
Immer wieder erstaunlich wie hoch wir uns während langer Strecken und durch unterschiedliche Landschaften der Meseta bewegen – nämlich um die 1500 Meter hoch
Entsprechend einfach aber eigenständig sind die Pueblos
Suchen jetzt, beinahe etwas verzweifelt, den Weg zu unserer unterwegs gebuchten klösterlichen Hospederia für heute Nacht.

Gefühlsmäßig müssen wir eigentlich in der Nähe sein. Auch das Navi insistiert drauf. Die Polizei will uns aber nicht durch dieses bestens gesicherte Portal lassen.

Ein persönliches „Bloquons tout“ auf spanische Art? Noch weiß HDM zu wenig vom historischen Bezug dieser Hospederia im Valle de Cuelgamuros. Zumal das Tal früher anders hieß.
D´Frau hat`s zwar schon recherchiert, schweigt aber ausnahmsweise.
Beinahe wundersame Hilfe naht. Aber verlassen sind wir trotzdem ein bisschen als wir durch dieses lange Entrée endlich unsere Hospederia aufspüren.

Das kleine Wunder: Der Freund eines Benediktiner-Mönches des zur Anlage gehörenden Klosters (Monasterio) braucht vor Einbruch der Nacht eine Mitfahrgelegenheit durch die langen Kilometer düsteren Pinienwalds. Die Polizei zeigt Erbarmen und lässt uns, mit ihm als Begleiter, durch. Unterwegs schürt der junge Mann unsere Neugier mit Geschichtsunterricht aus erster Hand.
Ganz allein scheinen wir nicht zu sein. In anderen Teilen der weiten Monster-Anlage tut sich was
Sogar Stärkung winkt nach einem langen Tag
Den Empfang im bescheidenen Klosterzimmer empfindet zumindest HDM als höchst gelungen. Auf dem klösterlich einfachen und sauberen Bett ein graziler nicht unansehnlicher Einwohner. Bestimme ihn*sie als Amerikanische Kiefernwanze (Leptoglossus occidentalis).

Ihr ursprüngliches Verbreitungsgebiet ist, so steht’s geschrieben, der Westen Nordamerikas westlich der Rocky Mountains. In den 1950er Jahren taucht das Tierchen auch an der Ostküste auf, 1999 erstmals in Europa, 2006 – im Jahr des Baustarts des neuen Flughafens – im weltoffenen Berlin.

Mit der Bestimmung der dreist wie erfolgreich invasiven aber harmlosen Spezies beenden wir den offiziellen Teil eines anstrengenden Tages.

Besser invasiv und harmlos als indigen und gefährlich – so resümiere ich tierliebend und bin gespannt auf morgen
Am nächsten Morgen sind wir früh wie gespannt unterwegs

Wir befinden uns in der höchst umstrittenen Gedenkstätte Valle de Cuelgamuros, knapp 50 Kilometer nordwestlich vor Madrid.

Seit Beginn des Bürgerkriegs 1939 lässt Caudillo General Francisco Franco hier die in den Fels gebaute Basilika errichten, mit einem direkt darüber um die 150 Meter hoch in den Himmel ragenden Kreuz. Denk- und Mahnmal für seinen Sieg im Bürgerkrieg und 20jährige Zwangsarbeit bis zur Fertigstellung.

Das Ensemble soll ein Ort der Versöhnung werden, mit den Opfern beider Seiten. Es heißt damals Valle de los Caídos (Tal der Gefallenen). Bis 2019 liegt auch der Diktator in der Basilika begraben. Seine Gebeine werden 2019, im Zusammenhang mit der mittlerweile begonnen gesellschaftlichen und politischen Auseinandersetzung mit der Diktatur, in die Familiengruft verlagert.

In den Nischengräbern des Tunnelgewölbes aber liegen immer noch die Überreste von mehr als 33.000 Toten. Sie wurden oft ohne oder gegen den Willen der Angehörigen dort bestattet. Familien haben in den vergangenen Jahren die Exhumierung Angehöriger beantragt.

Lo recordamos: 1936 putschen die Nationalisten mit Franco gegen die linke Regierung der Segunda República Española. Die regierenden Republikaner sind ein recht komplexer Mischmasch aus Sozialisten, Linken, Kommunisten, Anarchisten und deren jeweiligen Strömungen, z. B. den Anhängern regionaler Unabhängigkeit.
Im folgenden grausamen Bürgerkrieg (1936-1939) siegen Francos nationalistische Truppen, auch mit Unterstützung Nazi-Deutschlands. Die Diktatur endet mit seinem Tod 1975. Besiegt wird er nie.

Der Francoismus meint die absolute Machtkonzentration in den Händen des Diktators. Eine konkrete Ziel-Ideologie (im Sinne einer strategischen Marketing-Positionierung) fehlt. Mehrere ideologische Strömungen spielen zusammen: Der zunehmend patriotisch gelebte Katholizismus (National-Katholizismus), der tiefsitzende Antikommunismus und das höchst konservative spanische Traditions-Bewusstsein. Es wendet sich gegen liberale Ideen, Arbeiterbestrebungen und Unabhängigkeits-Nationalismen. Die besitzende Klasse und die Industrie wollen u. a. die durch die Reformen der Zweiten Republik bedrohte soziale und wirtschaftliche Vorherrschaft wiedererlangen.

Eine Erklärung zum langen Überleben des Regimes liegt sicherlich in der schweigenden Mehrheit der Bevölkerung. Sie findet sich aus Angst oder als Lebensnotwendigkeit mit dem System ab.
In aller Früh´ wirft die Morgensonne noch lange Schatten
Im Vergleich zum Vollendungsjahr 1959 der Anlage sind wir mutterseelenallein
(Quelle: Archivo de Publicidad)
Der weite Blick in die entgegengesetzte Richtung
Dann öffnet sich geheimnisvoll eine Eingangs- und eine Ausgangstür zum unterirdischen Denkmal
Drinnen zuerst Polizeitechnik, beinahe gespenstisch
Dann der monströse Eingang
Die Beleuchtung ohne jegliches Tageslicht ist wie von einer anderen Welt
Die architektonische Gestaltung kann sich in Stil, Kreativität und handwerklicher Qualität mit den Baustilen vorausgehender Jahrhunderte durchaus messen
Unter der 42 Meter hohen Kuppel befand sich das Grab des Diktators
Gestaltungsextreme
Ehrfürchtig zwischen bloßer Bewunderung und dem Versuch des Verstehens
Arbeitende Benediktiner-Padres (ora et labora) vor aufwändigem Chorgestühl
FRANCISCO FRANCO CAUDILLO DE ESPAÑA
PATRONO Y FUNDADOR INAUGURO ESTE MONUMENTO EL DIA 19 DE ABRIL DE 1959

S. S. JUAN XXIII
ERIGIO SU EGLESIA EN BASILICA POR BREVE DE 7 DE ABRIL DE 1960 Y FUE CONSACRADO EL DIA 4 DE JUNIO DEL MISMO AÑO POR EL CARDENAL GATTANO CICOGNINI


Die leicht übersehbare Gedenktafel ist eine der wenigen verbliebenen in Stein gemeißelten Erinnerungen an den spanischen Nationalkatholizismus. Weniger nachhaltige Referenzen zur Diktatur, z. B. im Webauftritt von Basilika und Kloster, sind inzwischen getilgt.

HDM wundert sich, dass er den weltweit sehr geschätzten polnischen Papst Johannes XXIII zuvor nie in Verbindung mit Franco gesehen hat. Als kirchlich nachhaltig erweisen sich auch die Benediktiner. Sie dürfen bleiben und weiter Messen lesen. Darauf einigt sich die regierende Linkskoalition im Frühjahr 2025 mit dem Vatikan.

Vielleicht hätte man uns ohne den Benediktiner-Freund am Polizei-Portal gar nicht reingelassen – so denk i mir a bißerl abwegig, eigennützig und gschamig
Franco wird 2019 ausgeflogen. Die umfassende Identifizierung und Umbettung aller Toten dauert an. Die ultrarechte Partei indes verteidigt den Felsendom als Symbol für Spaniens christliche Wurzeln.

Der hauptsächliche Ursache für die anhaltende Unruhe in Bevölkerung und Politik liegt in dem vom Parlament in 1977, zwei Jahre nach dem Tod des Diktators, beschlossenen Amnestiegesetz (Ley de Amnistía).

Bisher als ungesetzlich geltende Handlungen mit politischer Absicht werden nicht verfolgt. Die Amnestie umfasst auch Behörden und Vollzugspersonen die Verbrechen oder Vergehen begangen oder „Rechte von Personen“ verletzt haben. Strafrechtliche Verfolgungen sollen Spaniens Konsolidierung hin zu einer Demokratie nicht beeinträchtigen. Dieser Pakt des Vergessens (Pacto de Olvido) ist damals eine einmütige Entscheidung sowohl der linken als auch der rechten Parteien.

Heute weiß man dass dieser Versuch einer nationalen Versöhnung die notwendige ehrliche gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der Diktatur zumindest stark behindert hat. Besonders seit der Jahrtausendwende, als die eher rechts stehende Partida Popular (PP) mit einer absoluten Mehrheit aus den Wahlen hervorgeht, verstärkt sich die Diskussion.

In der Provinz León entsteht damals die Asociacion para la Recuperacion de la Memoria Historica. Sie setzt sich für eine Aufklärung des Verbleibs republikanischer desaparecidos ein und veranlasst die Öffnungen von Massengräbern. Eine umfassende gesellschaftliche Erinnerungsbewegung ist geboren.

Zwei Jahre später, im November 2002, stimmt das spanische Parlament einer offiziellen Verurteilung der Franco-Diktatur einstimmig zu. Zum Jahrestag des Bürgerkriegsbeginns in 2006 wird das Jahr der historischen Erinnerung ausgerufen und ein Gesetz zur Rehabilitierung und Entschädigung der Opfer von Bürgerkrieg und Diktatur auf den Weg gebracht. Franquistische Symbole, Straßennamen, Monumente und Gedenktafeln sollen aus dem öffentlichen Raum entfernt werden. Im jetzigen Valle de Cuelgamuros sind politische Veranstaltungen von Altfranquisten und Sympathisanten verboten.

Spanien habe es versäumt, die Diktatur-Vergangenheit angemessen zu vermitteln. Ein Preis dafür sei der Erfolg der Ultrarechten. Solche Stimmen verweisen auf recht konkrete Anhaltspunkte dafür, dass um die ein Drittel der „franco-fernen“ jüngeren Spanier rechtsextrem wählen. Anhaltende, auch ganz aktuelle, Korruptionsskandale der beiden großen Parteien PSOE und PP erleichtern eine sachliche Auseinandersetzung nicht.
Grausame späte Erkenntnis
Ganz gleich wo: In Spanien sei man nie weiter als 50 Kilometer von einem Massengrab entfernt. Manche enthalten die Überreste Tausender Menschen.
Insgesamt vermutet man weit über 100.000 Verschollene (Quelle: rtve)
Junge Menschen beteiligen sich an der Suche. Andere laufen Gefahr, die Gräueltaten der Diktatur zu vergessen. Bei ihnen droht in zeitlicher Distanz Franco zum Wohltäter zu werden.
Populistisch argumentierende Politiker und historisierende Franco-Biografen unterschiedlicher parteipolitischer Couleur verschärfen die Situation.
Diese anfangs des Jahres erschienene Biografie aus dem aragonesischen Zaragoza (Saragossa) ist sicherlich studierenswert. Die Erkenntnisse müssen jedoch hinsichtlich ihrer Nähe zur derzeitigen Linksregierung sorgfältig abgewogen werden.
In diesen Wochen und Tagen wird auch der emeritierte Juan Carlos I in die Auseinandersetzung einbezogen. Jetzt erscheinen seine Memoiren (nach Frankreich) auch in Spanien. Darin geht er recht verständnisvoll mit seinem Steigbügelhalter Franco um. Der Präsident der Recuperación de la Memoria Histórica fordert dafür eine Bestrafung (multa) …
Am 22. November 1975, nur zwei Tage nach Francos Tod, wird Juan Carlos I König von Spanien. Er unterstützt die Ausarbeitung der Verfassung von 1978, entgeht unzähligen Intrigen und gewinnt zunehmend das Vertrauen des Landes.
Sein entschlossenes Auftreten gegen den Versuch eines Militärputsches in 1981 beweist die schon hohe Stabilität der jungen Demokratie. Der kleine Bub rechts im Bild ist der jetzige König Felipe VI
(Quelle: arte Ausstrahlung am 11. November 2025)

Jetzt schreibt der königliche Emeritus: „Ich habe das Gefühl, dass mir meine Geschichte gestohlen wird“. Er bekennt Sympathie für den Diktator, „der mich zum König machte“ und sagt über Francos 36jährige Herrschaft: „Ich respektierte ihn zutiefst, ich schätzte seine Intelligenz und seinen politischen Instinkt.“ Und: „Niemand konnte ihn stürzen oder auch nur destabilisieren – das ist eine Leistung.“ Zur Demokratie: „Ich habe dem spanischen Volk die Freiheit gegeben, indem ich die Demokratie errichtet habe.“

Wer die unendliche spanische Meinungsvielfalt und Diskussionsfreude kennt ist geneigt ihn zu verstehen. Der (zunehmend umstrittene) derzeitige sozialistische Regierungspräsident (Presidente del Gobierno – partido PSOE) sieht dies erwartungsgemäß anders: „Die Demokratie ist nicht einfach vom Himmel gefallen, sie wurde vom spanischen Volk, von den einfachen Bürgern erkämpft“ ist seine populistische Erkenntnis.

Anmerkung: HDM hat in Übereinstimmung mit seinem gescheiten spanischen Friseur Paco wenig Sympathie für den derzeitigen Präsidenten der Regierung. Er ist in einen handfesten Korruptionsskandal verwickelt und bemüht palavernd ständig die Demokratie, während er sich seit Jahren, auch in eigener Sache, mit der demokratischen Säule einer unabhängigen Rechtssprechung im Konflikt befindet. Probleme
bleiben ohnehin auf der Strecke. Bei uns in Deutschland findet man ihn, soweit bekannt, überwiegend toll.
Der Padre de la Constitución Miquel Roca muss es eigentlich besser wissen als der populistische Presidente: Es waren der klare Wille „del Rey, de Suárez y de apertura de Torcuato Fernández Miranda“, ein Team das auf etwas setzte, was schon mehr als genug war: nämlich freie Wahlen“.
Quelle: Spanischer Fernsehsender Antena 3 am 17. November 2025

(Apertura heißt hier Aufgeschlossenheit Adolfo Suárez González von der Unión de Centro Democrático (UCD) war in der Übergangszeit zweimal Presidente del Gobierno; Torcuato Fernández-Miranda Hevia, ein Rechtswissenschaftler, war gleich nach Francos Tod kurz Presidente)
Besuchen jetzt zur Wahrung der historischen Balance einen Ort, der Spaniens ungleich viel längere vorausgehende Geschichte präsentiert:

Den Real Sitio de San Lorenzo de El Escorial (Königliches Kloster San Lorenzo de El Escorial) in Fahrtrichtung kurz vor Madrid. Aus Angst vor unmenschlichen Museumsbesuchen ist HDM hier bisher jedesmal vorbeigefahren.

Das Ausmaß und die vermutete Vielfalt der Anlage machen uns zuerst etwas hilflos wie die Zwei auf der Bank

Die Schloss- und Klosteranlage entsteht in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Wieder einmal treffen wir auf Philipp II, Spaniens wohl visionärsten König. Das Meisterwerk der spanischen Renaissance ist ein Symbol der damals mächtigen spanischen Monarchie. Es umfasst vor allem das eigentliche Kloster (Monasterio), ausgedehnte königliche Gemächer und den Pantheon-Teil. Im Panteón de Reyes und im Panteón de los Infantes liegen die sterblichen Überreste der spanischen Habsburger- und Bourbonen-Könige mit deren Familien.
Bescheiden kann man den Klosterhof im geometrisch strengen und nüchternen Herrera-Stil nicht gerade nennen
Die Kuppel der gigantischen Basilika ist 92 Meter hoch. Vor dem Hauptaltar probt ein – aus der höchst korrekten hochdeutschen Pronunciación zu schließen – norddeutscher Laienchor die grandiose Akustik.

Unterm Chor, im Panteón de Reyes und im Panteón de los Infantes, liegen die nicht enden wollenden sterblichen Überreste der spanischen Habsburger- und Bourbonen-Könige.
Angesichts mancher Wimpel denke ich unbekümmert pietätlos an verführerische Wiener Tortengebäcke … perdon.
Biblio
Angesicht der überwältigenden Gestaltung der Bibliothek (von Phillip II gegründet) vergisst man leicht die über 40.000 Bücher und Handschriften
Der Fotograf begeistert sich für bekennende Besucher genau so wie für wertvolle Exponate und stimmige Gestaltungen.
Die spanischen Landsleute freuen sich ihrerseits, in Alemania unvorstellbar, über des Fotografen Aufmerksamkeit.
Dann, endlich wieder in der frischen Luft, im Restaurant gleich daneben, locken Motive wie das nachhaltig kommunizierende spanische Leben und die nahe Madrider Lebensart
Die Belohnung nach drei Stunden grandiosem Museumsstress (einem persönlichen Rekord)
Natürlich sind Spanier, auch Madrilleñas, nicht immer nur froh und lustig
Auch die Nationalpolizei am Straßenrand zwischen Madrid und dem spanischen Zuhause schaut etwas kritisch drein.
Mir kommen die erfrischende Caña und die gleiche Quantität des fruchtigen Rueda von vor zwei Stunden in den Sinn. Nächstes Jahr soll 0,2 gelten so hört man.
Als wir abends in Dénia ankommen haben wir Glück – der in die Jahre gekommene Fernseher läuft nach ein paar Minuten tatsächlich an:
Wir wollen den heutigen Wiesnzug wenigstens im Fernsehen anschauen – für uns Ehemals-Münchner eine kleine Tradition.

Jedoch, das trotz strahlender Sonne schlechte br-Licht ist ein Graus. Normalerweise kritisiere ich nur die Kameraleute des spanischen rtve.
Lange währt das schattige Fernseh-Glück übrigens nicht: Nur zwei Wochen später ist ein Neuer fällig. Estamos en España denke ich ungerecht vor mich hin.

Hasta la vista

Dann vermutlich vom Starnberger See aus

  1. D´Frau sagte der aus Niederbayern stammende Münsinger Altwirt immer dann, wenn er seine Ehefrau Erika liebevoll in eigentlich nur Mannsbilder betreffende wichtige Sachverhalte einbeziehen wollte. Gerne hat HDM diese treffende wenn auch nur indirekte sprachliche Liebeserklärung für hoffentlich relevante eigene Herausforderungen übernommen. ↩︎