Hand aufs Herz: Fehlt uns die Geduld?

     Kreative Darstellung des Marketingablaufs im Unternehmen.

„Tugend Geduld: Wichtiger als Intelligenz?“

Diese Headline in Linkedin provoziert wohltuend und der Beitrag dahinter ist durchaus lesenswert. Tatsächlich, das tagtägliche digitale Geschehen um uns herum signalisiert eine Jetzt-Sofort-Welt und riskiert die elementar lebenswichtige Tugend Geduld zu beschädigen. Ohne Geduld würden auch Kommunikation und Marketing Federn lassen.

Die scheinbar versprechende Vision: Welche schöne schnelle digitale quasi automatische Werbewelt! Gurus träumen vom Paradigmenwechsel und wollen Marketing neu erfinden. Verlockend die Übermittlung eines schnell erdachten Werbespruchs mithilfe eines verführerischen und ebenso schnellen Mega-Cyber-Sortiments digitaler Medien. Die lästige Wirkungs- und Erfolgskontrolle steht ja ohnehin in den Sternen.

Der berufliche Alltag ist eher ernüchternd: In Marketing und Kommunikation nutzt auch die digital innovativst aufbereitete und ausgestrahlte Botschaft nichts, wenn der heutzutage nicht von ungefähr gerühmte Content nicht stimmt oder die Zielpersonen durch das allerneueste Social-Media-Instrumentchen überhaupt nicht erreicht.

Überzeugende Contents brauchen im Vorfeld nunmal profundes Überlegen, Zeit und Geduld. Schnell schnell geht nicht. Ein überzeugender ehrlicher Bezug zur jeweils spezifischen individuellen und häufig emotionalen Nutzenwelt von Produkt- und Service-Angeboten und deren Interessenten („Relevanz“) ist unabdingbar.

Selbst das bei Followern heiß begehrteste Fleisch-und-Blut-Instagram-Model braucht herkömmliche authentische Mundpropaganda-Qualitäten. Was z. B. Chatbots bewirken sollen ist mir ohnehin unergründlich. (Lese soeben dass ich damit nicht allein bin – siehe Link zum Thema Künstliche Intelligenz).

Voraussetzung für relevante Inhalte einerseits und dazu passende ziel- wie zielpersonenkonforme Kommunikationsinstrumente andererseits ist immer die aufwändig sorgfältige Analyse und das anschließende Begreifen aller Interdependenzen zwischen den Erwartungen, Zielen und persönlichen wie öffentlichen Erfahrungswelten aller Beteiligten. Das ist fürwahr nicht wenig und vor allem strategisch anspruchsvoll. Die Flut verfügbarer Daten (und Logarithmen!) wollen folgerichtig genutzt werden.

Zum Beispiel: Sind Ziel, Zielgruppe und die strategische Positionierung eines Angebots tatsächlich sorgfältig aufeinander abgestimmt? Wir nennen dies der hohen Bedeutung halber „Strategische Kongruenz“ oder besser memorabel „Dreiheiligkeit“. Hier helfen in der Tat nur Logik, Erfahrung, geduldiges Nachjustieren und Dranbleiben. Bildlich Genaueres gibt´s im Retro-Fallbeispiel „Camel“ des Blog-Archivs.

Ohne Zweifel macht die Digitalisierung auch in Marketing und Kommunikation vieles einfacher, schneller planbar, darstellbar, mitteilbar und distribuierbar. Gut für den sinnvollen Anteil der Ansprüche unserer Jetzt-Sofort-Welt.

Voraussetzung dafür ist jedoch die Erkenntnis und Berücksichtigung dass die sinnvollen Errungenschaften dieser Digitalen Revolution grundsätzlich handwerklicher-instrumenteller-organisatorischer Art sind und so begriffen werden müssen. Durchaus vergleichbar mit der berühmten Industriellen Revolution vor hundert oder hundertfünfzig Jahren. Auch sie war, bei allen umfassenden Auswirkungen auf alle Bereiche des damaligen Lebens, nie Selbstzweck. Natürlich sind Revolutionen ein bedeutender Parameter unseres Umfelds und gestalten so unser Verhalten mit. Aber wie?

Ja, das handwerkliche Drumherum des Marketing hat sich drastisch verändert und erweitert. Im Gegensatz dazu, und peinlich vom handwerklich Instrumentellen zu trennen, haben sich die essentiellen Inhalte unserer Produkt- und Service-Welten, voran unsere Bedürfnisse, vergleichsweise weit weniger revolutionär entwickelt als man uns oft glauben machen will. Das Informations- und Kommunikationsverhalten ist ein Sonderfall. Das Alles-ist-heute-anders-Getöse kommt letztlich von der unzulässigen sachlichen Vermischung der beiden unterschiedlich dramatischen Entwicklungen.

Die für Marketinginhalte entscheidenden Bedürfnisse von Menschen und all ihrer Formen des Zusammenlebens und Arbeitens wie Haushalte, Vereine, Organisationen, Unternehmen etc. sind Startpunkt jeglichen Marketings. Seit Menschengedenken sind sie kontinuierlich im Fluss und passen sich neuen Umfeld-Parametern an. In der heutigen höchst transparenten „digitalen Anspruchsgesellschaft“ schneller – auch im Vergleich zur damaligen Industriellen Revolution; nicht zuletzt durch die erst jetzt verfügbaren rasanten digital-technologischen Möglichkeiten des informatorischen und kommunikativen Austausches.

Genauer betrachtet sind heute Bedürfnisse und Ansprüche vielfältiger, differenzierter, komplexer und auch fordernder geworden. Daraus analytisch Erkenntnisse über das jeweils relevante komplexe Mega-Bedürfnis-Spektrum und die dazu gehörenden Verhaltensweisen der Marktteilnehmer abzuleiten ist für den verantwortungsbewussten und nachhaltig operierenden Marketer zweifellos eine große Herausforderung. Kneifen gilt nicht. Ordnende Interdependenz- und Ablaufsysteme wie der Managementprozess des Marketing (siehe Blog-Archiv) sind wichtiger denn je.

Gerade hier, in gekonnt abgeleiteten und entwickelten strategischen Differenzierungen („Positionierung“), liegt die Stärke guten und erfolgreichen Marketings. Unnötig zu sagen dass Grundanforderungen wie Intelligenz, Erfahrung, Logik, Zeit und Geduld der Evaluierung komplexer Zusammenhänge besonders zugute kommen.

Die aufgrund sozialer und politischer Entwicklungen und Gegebenheiten beobachtbaren Mutationen elementarer, neuer und sich sukzessive wandelnder Bedürfnisse zu handfesten Erwartungen und sogar Ansprüchen an Anbieter und Gesellschaft mindern die originäre Bedeutung fürs Marketing nicht, egal ob Profit- oder Non-Profit Bereich. Wünschenswert wäre, dass dieses Anspruchsverhalten nicht nur materielle Bedürfnisbereiche umfasst.

Eine parallel beobachtbare und ebenfalls höchst aktuelle Herausforderung ist die zunehmende Bereitschaft des Marketing-Managements bevorzugt aktionistisch-kurzfristig anstatt strategisch-langfristig zu denken, zu planen und zu handeln. Keine Geduld und Zeit für Wesentliches fördert den Aktionismus, denn Strategien brauchen Ruhe und Geduld.

Beispiele gibt´s auch hier zuhauf. Oft recht spontane „Geschäftsideen“ sind in Mode und werden zur scheinbar versprechenden beruflichen Lebensgestaltung junger Leute. Und, in Marketing- und Entwicklungsabteilungen behindern scheinheilige Startup-Denker die geduldige Knochenarbeit an versprechenden Weiterentwicklungen von Bewährtem – siehe Link „Start-up-Fieber“.
(Im politischen Bereich ist die andauernde unglückselige Dieselmotor-Diskussion eine vergleichbare Ablenkung von dringend erforderlicher und durchaus versprechender zielstrebiger Ingenieursarbeit.)

Die ausufernde Modell- und Sortenvielfalt heutiger Produkte und Dienste aller Branchen sind sicherlich eine mögliche Antwort auf differenziertere Bedürfnisse – häufig jedoch aus Unsicherheit darüber was unser Zielmensch tatsächlich braucht und will. Genaueres im Retro-Fallbeispiel „Obstgarten“ des Blog-Archivs.

Beispielsweise versuchen manche Verlage, naturgemäß besonders von der Digitalisierung betroffen, mit der wiederholten Einführung neuer kleiner Printtitel mittels der Schaun-mer-mal-Taktik der Herausforderung zu begegnen. Klare Positionierungen fehlen. Ein Flop wird dann prompt durch den nächsten ersetzt. Adäquate Antworten stehen noch aus.

Die allgemeine Antwort hingegen ist klar. Im komplexen Umfeld ist mehr Geduld statt weniger angesagt. Die digital möglichen künstlichen Intelligenzanwendungen können weder Geduld noch menschliche Intelligenz ersetzen. Wohl können sie nutzbare Freiräume für Wichtiges und Prioritäres schaffen.

Es wäre zu schade wenn faszinierende digitale Potenziale durch ungeduldiges und aktionistisches Pseudo-Marketing-Management zu gunsten essentieller materieller wie ideeller Lebensinhalte ungenutzt blieben.

Zum Stichwort Geduld vs. Intelligenz:

https://www.linkedin.com/pulse/tugend-geduld-wichtiger-als-intelligenz-dr-ferri-abolhassan?trk=eml-email_feed_ecosystem_digest_01-recommended_articles-5-Unknown&midToken=AQF-uVrNlV9VDg&fromEmail=fromEmail&ut=1wMdhVDI_B9Eg1

Zum Stichwort Künstliche Intelligenz und Chatbots:

http://www.horizont.net/tech/nachrichten/KI-Pionier-Chris-Boos-Chatbots-sind-kompletter-Unsinn-166930?utm_source=%2Fmeta%2Fnewsflash%2Fnewsflash&utm_medium=newsletter&utm_campaign=nl15262&utm_term=e17184bcb70dcf3942c54e0b537ffc6d

Zum Stichwort Start-up:

https://www.linkedin.com/pulse/das-startup-fieber-greift-um-sich-wie-sie-und-andere-winiarski?trk=eml-email_feed_ecosystem_digest_01-recommended_articles-3-Unknown&midToken=AQF-uVrNlV9VDg&fromEmail=fromEmail&ut=2d0NkR9yZEdog1

Darstellung "Managementprozess" von Peter Lütke-Wissing, Augsburg

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