Weite Landschaften der erloschenen Vulkane
Nach unserem Streifzug mit Bildern durch die Bourgogne (Folge 2) geht´s weiter in die südwestlich gelegene Auvergne. Sie ist eine ländlich geprägte und bergige Region mit ausgedehnten Wäldern und ruhenden Vulkanen, z. B. dem imposanten Puy de Dôme. Besucher schätzen die weite Landschaft zum Wandern, Radeln und Skifahren – und die romanische Architektur.
Begegnungen mit nicht nur bayerischen Wesen
Faszination Romanik
Die Auvergne profitiert von vulkanischer Vorzeit und der Blütezeit der Jakobswallfahrt im 12. Jahrhundert, vor allem in der ersten Hälfte. Zu Hunderttausenden ziehen Pilger auf den Haupt- und Nebenrouten nach Süden. Im Einzugsbereich dieser Wege entstehen Kirchen, Klöster, Hospize, Herbergen und sogar Friedhöfe für Pilger, die den Strapazen der Reise nicht gewachsen sind.
Zu dieser Autobahninfo muss ich eine kleine fürs Thema nicht relevante Geschichte erzählen und bitte den geneigten Leser höflich um Verständnis.
Zwischendurch, unserem Zeitplan zuliebe, wählen wir ein Stück A89/E90 (Lyon – Clermont-Ferrand – Bordeaux). Unerwartet dann das Ussel-Schild. Erinnerungen kommen hoch. Aus heutiger Sicht die durchaus köstliche Erinnerung an die Beschlagnahme meines Permis de Conduire durch Polizeiorgane der französischen Obrigkeit unter dem Aktenzeichen 1230/2004. (Zusätzlich schlägt im Reisebudget eine „amende“ von aus heutiger Sicht höchst preisgünstigen 135 Euro zu Buche, nach Rabatt bei Kartenzahlung.)
Diese Polizeiaktion ist schlichtweg unrechtlich. Selbst die Grundlage ist falsch. Wir fahren nachts im G mutterseelenallein auf der damals neuen etwas feuchten aber höchst griffigen Autobahn – es hatte zuvor leicht geregnet. Die vermutlich bisher erfolglosen beiden Beamten zwischen den feuchten Büschen vergleichen die gefahrenen 151 km/h kreativ wie eigennützig mit der erlaubten Regenzahl von 110 anstatt der üblichen 130-Beschränkung.
Zwei Wochen später versucht Ussel postalisch, später telefonisch höchstpersönlich der Polizeipräsident, den beschlagnahmten Führerschein wieder los zu werden. Dies weiß ich als Rache des kleinen aber Frankreich-kundigen Mannes über Monate hinweg zu verzögern. An unserem spanischen wie an unserem heimatlichen Aufenthaltsort lassen wir die Einschreibesendungen mit dem Schein als Inhalt, wenn auch mit ein bisschen Wehmut in der Unterschrift, zurückgehen. Ussel rotiert. Schließlich aber versöhnt man sich im Sinne der legendären amitié franco-allemand durch eine offiziell-amtliche Übergabe des HDM-Dokuments in unserem Landratsamt Bad Tölz.
Zwischendurch fahre ich mit einer zweiseitig eng französisch beschriebenen dokumentarischen Quittung als Lappenersatz durch die Gegend. Ich freue mich schon auf kontrollierende Polizeikontakte in Spanien oder daheim. Leider werden wir nie angehalten um dieses bürokratische Wunderwerk voller verwirrender Paragraphen auf seine Straßentauglichkeit hin zu prüfen. Provozieren will ich jedoch nicht … Eigentlich schade – oder?
Wir fahren jetzt wieder querfeldein Richtung Dordogne –
im Norden der Midi-Pyrénées
Jede zusätzliche Reiseerfahrung steigert unser Bewusstsein „berühmte“ und in Führern empfohlene Orte möglichst nur gegen den Tourismusstrom zu besuchen oder nötigenfalls ganz zu meiden. In Ruhe aufmerksam recherchiertes und selektiertes Wissen in Text und Bild kann hektische Besichtigungsaktionitis meist leicht kompensieren. Das-Muss-ich-gesehen-haben ist dann Vergangenheit.
Das Périgord – Land mit aufregender Historie
Weiter geht´s Richtung Südwesten: Die Provinz Périgord der Region Limousin ist für ihr reiches historisches Erbe, ihre Küche und das milde Klima bekannt. Geschichtsträchtige Städtchen locken. Sein eigenes Weinbaugebiet geht in die berühmten Lagen vor Bordeaux über, der Hauptstadt des am Atlantik südlich gelegenen Aquitanien.
Im Périgord wollen wir, auch stellvertretend für andere Gegenden, etwas in die Geschichte eintauchen. Sie ist seit den ersten Felsmalereien von Lascaux (Weltkulturerbe) um 30.000 v. Ch. – im Zeitraffermodus – recht abenteuerlich:
Keltisches Gallien – Herrschaft der Römer, im Zuge der Völkerwanderung der Franken – ist in Zeiten beinahe ewiger französisch-englischer Querelen Grafschaft mit drei Lehensherrn und fällt schließlich durch Heirat als Lehen an England – dann die Dordogne als Frontlinie im Hundertjährigen Krieg – ab 1204 begeben sich manche Orte unter den Schutz des französischen Königs, romanische Wehrkirchen entstehen, dienen den Menschen als Zuflucht und sind Ursprung der wunderbaren romanischen Architektur.
In der Schlacht bei Lamothe-Montravel (1454) werden die Engländer vom französischen Festland vertrieben. Der sich entwickelnde atlantische Seehandel kommt den natürlichen Ressourcen Holz, Eisen sowie landwirtschaftlichen Produkten (vor allem dem damals berühmten regionalen Wein) zugute und lässt das Land erstarken. In die Zeit der Renaissance fällt der Bau zahlreicher Schlösser und Landsitze.
Die ab 1540 einsetzenden Religionskonflikte der Reformation treffen das Périgord hart. Die Stadt Périgueux hält der katholischen Kirche die Treue, Bergerac schließt sich der Reformation an. Massaker, von beiden Seiten – Katholiken und Hugenotten angezettelt, sind die Folge. Erst das Toleranzedikt von Nantes 1598, das protestantische Orte unter königlichen Schutz stellt, bringt Beruhigung.
Doch die sozialen Spannungen vermehren sich: Der wirtschaftliche Aufschwung kommt nur dem Adel und dem Bürgertum zugute. Die Landbevölkerung leidet unter Abgabenlasten und Verschuldung. Das 17. und 18. Jahrhundert ist von Aufständen geprägt. Die „Croquants“ stellen Heere auf und erobern Städte, der Adel reagiert mit Gewalt. Die Aufhebung des Toleranzedikts durch Ludwig XIV. 1685 ist für das Périgord eine Katastrophe. Protestanten verlassenen das Land. Seiner wirtschaftlichen Elite beraubt versinkt es in Armut und Bedeutungslosigkeit.
Mit der französischen Revolution verliert der Adel seine Vormundschaft und man gibt 1790 der Grafschaft den Namen Périgord. Die französische Zentralregierung verfügt die Umbenennung in Dordogne und Périgueux wird Hauptstadt.
Die Industrialisierung setzt spät und spärlich ein. Das Land bleibt wirtschaftlich unterentwickelt. Zudem ruiniert ab den 1860er Jahren die Reblaus nahezu den gesamten Weinbau. Massive Landflucht und Auswanderung sind die Folge; noch heute leben im Département Dordogne weniger Menschen als im Jahr 1800.
Während des Zweiten Weltkriegs ist die Region eines der Hauptaktionsgebiete der Résistance. Hier verläuft die Demarkationslinie zwischen dem deutschen Besatzungsgebiet und Vichy-Frankreich; dazu gehört der größte Teil des Périgord. Nicht nur Waren und Waffen, auch Flüchtlinge und politisch Verfolgte werden geschmuggelt. Von dicht bewaldeten und dünn besiedelten Rückzugsgebieten aus kann die Résistance operieren.
Heute nutzt das Périgord seine bewegte Geschichte und die vielfältige Tradition zur Entwicklung eines hoffentlich nachhaltigen Tourismus. Herrenhäuser, Bauernhöfe, Mühlen und Schlösser werden von neuen Besitzern – traditionell und in Brexitzeiten häufig von Engländern – renoviert und als Domizil genutzt. Keine schlechte Wahl meinen wir.
Erste Station Sarlat-la-Canéda
Seit dem 17. Jahrhundert ist Sarlat politisch bedeutungslos und verarmt. Die Bausubstanz verfällt bis die französische Regierung 1962 ein Denkmalspflege-Gesetz verabschiedet. Es ist auf die Restaurierung historischer Altstadtkerne ausgerichtet. Ein Dutzend Jahre später ist die Stadt wie neu auferstanden. Der Fremdenverkehr steigt sprunghaft; Sarlat zählt heute eine Million Besucher pro Jahr.
Eine eher protestantische Stadt
Bergerac ist nach der historisch katholischen Hauptstadt Périgueux die zweitgrößte Stadt im Département Dordogne. Es ist bekannt durch die dort angebauten Weine, eine Brücke über die Dordogne und das Tabakmuseum.
Bis auf die Namensgleichheit besteht kein Zusammenhang mit dem in Frankreich sehr bekannten Cyrano de Bergerac, der unter dem Titel „Die Andere Welt“ (L‘ Autre Monde) eine Reise zu Mond und Sonne beschrieb. Obwohl sich sein Name nicht vom Stadtnamen herleitet, gibt es Statuen mit seiner verträumten Miene und die Nase stolz gegen die Andere Welt gerichtet. Offenbar eine gute Marketingidee die manchen französischen Besucher hier in eine Andere Welt versetzt …
Der nahe Atlantik lockt immer
Schier unumgänglich für uns: Durch die gepflegten Weinberge von Saint-Émilion und in Bordeaux über die berühmte Garonne-Brücke noch einen Abstecher zum Atlantik nach Norden – zur Île d´Oléron und nach La Rochelle in Poitou-Charentes. Der Atlantik zieht uns immer wie magisch an.